Meisner & Me

Es war im Jahr 1988, ich war gerade bei Dreharbeiten zum Landarzt in Schleswig-Holstein, und für eine Episodenrolle war Phillip Moog gebucht worden, mit dem ich eine Unterhaltung über meine berufliche Zukunft führte. Phillip hatte einige Jahre zuvor in New York am Neighborhood Playhouse studiert und erzählte mir von der Meisner Technik, die dort gelehrt wurde. Ich hatte bis dato nur vom Actors Studio, der Schule von Lee Strasberg gehört.

Sanford Meisner hatte am Playhouse seine eigene Technik entwickelt, die, genau wie die Method, auf der Lehre von Konstantin Stanislawski beruhte.

Das Gespräch mit Phillip erwies sich für mich als Glücksfall. Ich möchte nicht behaupten, das Strasbergs Method keine gute Technik wäre, aber ich empfand die zwei Jahre am Playhouse als ein Ereignis, das mein Leben nachhaltig beeinflusst hat. Bis heute prägt mich diese Ausbildung in allem was ich tue, und ich wäre nicht der Dozent, der ich bin, wenn ich Sanford Meisner und allen Lehrern am Playhouse nicht begegnet wäre.

Wahrhaftig unter imaginären Umständen

Ziel der Meisner Technik ist es, “Wahrhaftig unter gegebenen Umständen zu leben”. Das bedeutet, jegliche Art von konstruiertem, antizipiertem Spiel zu vermeiden und sich ganz und gar auf seine Instinkte als Mensch zu verlassen.
Diese wiederum werden angesprochen, indem man mithilfe einer Reihe von Übungen die Konzentration von sich auf den Spielpartner*In lenkt, diesem “wirklich zuhört” und somit von “Moment zu Moment” lebt. Somit wird das Spiel an Tiefe gewinnen, und jegliche Art von Beliebigkeit wird vermieden. Man beginnt im Spiel zu reagieren, anstatt zu agieren (“Acting is reacting”).

Schauspiel ist die Fähigkeit, wahrhaftig unter gegebenen Umständen zu leben
Menschen fühlen etwas und zeigen als erstes Verhalten das diesem Gefühl angepasst ist. Wir verbalisieren dann etwas basierend auf dem eben Erlebten und Gefühltem. Ziel der Meisner Technik ist es diese Impulse in einer Szene, also unter imaginären Umständen, zu leben.

Worte können lügen, Verhalten niemals!
In der Meisner Technik arbeitet man nicht an den Worten, sondern am emotionalen Verhalten, das dem Text zugrunde liegt. Das Verhalten ist das „wie“, nicht das „Warum“. Meisner ging es darum, was ein Schauspieler in der vorgegebenen Situation fühlt und nicht was der Text vorgibt zu fühlen. nur so ist eine individuelle Darstellung möglich. es geht in gewissem Maße darum, sich der Wahrheit, die der Szene zugrunde liegt, auszuliefern.

Wenn du nicht zuhören kannst, kannst du nicht spielen, egal wie talentiert du bist

Leben passiert im Moment. Der einzig wahrhaftige Moment ist das was zwischen zwei Personen jetzt passiert. Um Momente zu erleben muss der Schauspieler offen sein und seinem Partner zuhören. Die Meisner-Technik schult wie keine andere Technik, das wahrhaftige Zuhören. Sind wir offen und lassen das Gehörte an uns geschehen, wird eine Reaktion erfolgen. Wir geben uns der Freiheit hin, diesen Impulsen zu folgen.

Repetition
Die Repetition Übung ist der Grundstein der Meisner Technik. Zu Beginn muss diese Übung von Grund auf gelernt werden um sie zu perfektionieren. Ziel der Übung ist es durch ein verlagern der Konzentration von sich auf seinen Spielpartner, einen intensiven Kontakt herzustellen und dem Partner wirklich zuzuhören. Dies geschieht indem man rudimentäre Dinge beobachtet und auspricht (z.B. „Blaues Shirt“ weil der Partner ein blaues Shirt anhat) wird gelernt auf einer rein instinktiven Ebene Kontakt aufzunehmen und somit ein „Schauspielerbewusstsein“ vermieden. Dadurch ist die Gefahr Momente zu erzeugen, anstatt sie wahrhaftig zu erleben geringer. Erst in diesem Moment können die Instinkte des Schauspielers zur Entfaltung kommen.
„Schauspiel heisst nicht emotionaler zu sein, sondern tiefer“.

The Knock on The Door
Die zweite Stufe der Meisner Technik ist das „Klopfen an der Tür“. Hierbei verlässt einer Spielpartner den Raum und klopft nach einer gewissen Zeit an der Tür. Dieses Klopfen sollte präzise wie möglich sein. D.h. es sollte möglich sein, innerhalb des Raumes einen Eindruck von der Stimmung des Klopfenden haben. Der Spielpartner, der im Raum geblieben ist, öffnet die Tür und arbeitet mittels der „Repetition“ mit seinen Spielpartner.

Independent Activity
Bei der „Independent Activity“ Übung, führt der Spielpartner im Raum eine Aufgabe aus, die einen hohen Schwierigkeitsgrad besitzt, an eine emotionales Bedürfnis gekoppelt ist und in einer bestimmten Zeitspanne durchgeführt werden muss. Um die Konzentration auf diese Aufgabe zu intensivieren, sollte sie am Anfang fast unmöglich sein wie z.B. eine Unterschrift perfekt zu fälschen, oder ein Bild exakt zu kopieren. Später können die Aufgaben leichter sein, das Element des emotionalen Bedürfnisses muss aber weiterhin enthalten sein.

Ziel ist es immer Dinge, Handlungen, „wahrhaftig“, also wirklich zu tun. Ziel des Schauspiels ist es nicht emotional zu sein, sondern Dinge wahrhaftig zu tun. Die persönliche Bedeutung der Handlung bestimmt die emotionale Intensität und Tiefe der Darstellung.

Emotional Preparation
Bei der Emotional Preparation wird am Emotionalen Instrument des Schauspielers gearbeitet. Hierbei versucht sich der Schauspieler in einen Tagtraum, also eine sehr starke Phantasie, zu versetzen. Dabei wird versucht eine starke Emotion zu erzeugen, die an die Erfordernisse der zu spielenden Situation angepasst ist. Der Schauspieler präpariert sich emotional, um in eine Szene zu gehen und arbeitet dann mittels der Repetition „Am Spielpartner ab“.

Berühmte Meisner Zitate: 

„Acting ist the ability to live truthfully under imaginary circumstances“

„Schauspiel ist die Fähigkeit, wahrhaftig unter gegebenen Umständen zu leben.“ Wahrhaftiges Tun und Sein im Moment, unzensiert und direkt erlebt. Fernab jeglicher szenischer Interpretation, ermöglicht uns miteinander zu leben. Vor der Kamera oder auf der Bühne.

„Fuck Patience“

Das Ausleben der eigenen Impulse im Hier und Jetzt schafft die Dringlichkeit und Unerbittlichkeit schauspielerischer Leistungen, die in Erinnerung bleiben. Sind wir zu Geduldig unterdrücken wir eigene Impulse und dienen weder uns noch dem Publikum.

„Fuck Polite“

SchauspielerInnen werden nicht dafür bezahlt nett und höflich zu sein. Figuren des Films und des Theaters kämpfen in jeder Minute für ihr Recht gehört und gesehen zu werden. Sie sind eben nicht mehr in der Lage die Gegebenheiten zu akzeptieren, sondern wütend und stimuliert genug die Welt zu verändern. Wer braucht da Geduld?

„The reality of Doing is the foundation of acting“

Menschen zeichnen sich durch ihre Taten, nicht durch ihre Worte aus. Dei Art und Weise, WIE wir etwas tun, erzählt eine ganz eigene Geschichte über die Bedeutung der Dinge mit denen wir arbeiten. Nicht die Bedeutung für das Stück oder den Film, sondern die Bedeutung für uns. Wir laden die Zuschauer in unsere Welt ein und verfolgen konkret und mit Energie unser Ziel.

„Acting is reacting“

„Tue nichts, bevor nicht wirklich etwas passiert“ Einer der wichtigsten Sätze Meisners. Wir lernen in uns zu ruhen und unseren Fokus auf das Gegenüber zu richten. Wir ziehen unsere künstlerisches Moment aus der Präsenz des Gegenübers und sind so zu organischer, menschlicher Interaktion fähig.

„The source of your acting is your fellow actor“

Siehe oben. Wir beziehen unsere Performance aus unserem Gegenüber, das zu einem Stimulus wird.

„Don’t do anything, until something is happening (No ouch before the pinch)“ 

Eine Übung, die mir in zweifelhafter Erinnerung geblieben ist, war diese: Meisner bat eine die Augen zu schließen. Er trat dann hinter einen und zwickte einen irgendwann mit seinen spitzen Fingernägeln. Er wollte damit verdeutlichen, das unsere Instinkte hellwach sind, WENN sie wirklich getriggert werden. Nicht davor. Viele Spieler antizipieren Situationen und spielen diese. Wir aber reagieren nur wenn etwas wirklich passiert.

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